Isabelle Wenzel, Field 1, 2015 from the series  Field Studies, 2014/2015 © Isabelle Wenzel


EXTREME. SELF
Darmstädter Tage der Fotografie und Kunstforum der TU Darmstadt
26. Mai bis 19. August 2018

Interview mit Isabelle Wenzel


RAY:
Du präsentierst in der Ausstellung EXTREME.SELF im Rahmen von RAY 2018 die Arbeit “Field Studies”. Was war der Ausgangspunkt, den eigenen Körper als Objekt der Inszenierung zu nehmen? Seit wann arbeitest du an diesem Werkkomplex?

Isabelle Wenzel: Im Grunde habe ich mir diese Arbeitsmethode schon im Studium angeeignet. Seitdem ist sie fester Bestandteil all meiner Projekte. Bereits sehr früh wurde mir bewusst, dass ich das klassische Machtverhältnis von Betrachtung und Selbstdarstellung nicht wirklich leiden kann. Ich fühlte mich recht unwohl mit dem Gedanken, meine Bildvorstellung auf jemand anderen zu projizieren. Ich hatte das Gefühl dem Anderen / der Anderen nicht entsprechen zu können. Zudem bin ich nicht wirklich daran interessiert eine Persönlichkeit darzustellen, sondern viel mehr daran, über Körperlichkeit und körperliche Zustände nachzudenken. Bewegung ist ein großer Teil meines Arbeitsprozesses, meiner Identität und meines Denkens. Ich nutze Bewegung gezielt, um intuitive irrationale Bilder zu gestalten. Ich sehe mich hierbei nicht allein als Fotografin, sondern auch als Performerin, da ich die Rolle der Beobachterin und Darstellenden gleichzeitig einnehme. Für mehrere Jahre habe ich den eigenen Körper in einer gezielten Studiosituation erforscht. Dabei bin ich kontinuierlich zwischen Kamera und Bildfläche hin und her gerannt, um mit Hilfe des Selbstauslösers innerhalb von wenigen Sekunden ein Bild zu erschaffen. Diese Arbeitsweise hat stark aktionsbezogene Züge, wie eine Performance ohne Betrachter, nur zwischen mir und der Kamera. Irgendwann hatte ich das Gefühl ich müsse etwas an meinem Prozess ändern, um meine Kreativität neu anzustoßen. Ich musste mich also unbekannten Situationen aussetzen. Deswegen beschloss ich meine Komfortzone zu verlassen und mich und meine Aktionen in den öffentlichen Raum zu verlagern. Seit 2014 arbeite ich nun an diesem Werkkomplex ‚Field Studies’, welcher ein offener Zyklus ist, bei dem von Zeit zu Zeit immer wieder neue Bilder entstehen. Die große Veränderung war zum einen, dass ich nun auf gegebene Umstände reagieren konnte, wie Landschaft, Licht, Architektur oder Wind und dass ich zum anderen plötzlich unverhoffte Zuschauer hatte, welche durch Zufall an meinen Arbeitsorten vorbeikamen und mir teils unerwartete Reaktionen entgegenbrachten.
 
RAY: Durch das Einfrieren deiner Bewegung - eines kurzen Momentes deiner Haltung -, kann der Körper im Bild zur Skulptur werden. Wie ist dein Verhältnis zur Fotografie? Was ermöglicht dir die Fotografie?
 
IW: Fotografie ist eine Konstruktion. Eine neue Wirklichkeit, mit welcher ich meine Träume und Emotionen darstellen kann. Sie ist auch ein Spiegel und Methode zur Reflexion. Mit ihr setze ich mich in Bezug zur Welt.

Isabelle Wenzel, Wasserbecken 1, Mathildenhöhe Darmstadt, produced for RAY 2018 and Die Darmstädter Tage der Fotografie, from the series Field Studies, 2018, © Isabelle Wenzel

Isabelle Wenzel, Soestdijk, Baarn, Niederlande, In sight / Out of sight, 2016, © Isabelle Wenzel

RAY: Die Fotografie ermöglicht ein neues Feld für Performancekünstler: Die Kamera ersetzt das Publikum. “Performing for the Camera” hieß eine Ausstellung in der TATE MODERN 2016, in der das Verhältnis von Performance und Fotografie untersucht wurde. Wie siehst du dich – mehr als Performancekünstlerin oder Fotografin?

IW: Weder noch. Für mich ist es nicht wichtig da eine konkrete Begrifflichkeit zu finden.

RAY: Du hast extra für die Ausstellung neue Bilder vor Ort in Darmstadt gemacht. Wie war die Arbeit hier? Welche Orte hast Du aufgesucht und warum?

IW: Ich bin ohne große Vorkenntnisse nach Darmstadt gekommen. Recht klar war, dass Darmstadt für den Jugendstil bekannt ist, insofern wollte ich mich auf der Mathildenhöhe umsehen. Im Großen und Ganzen hat meine Arbeitsweise spontane Züge. Ich möchte mich immer sehr direkt und intuitiv von der Örtlichkeit inspirieren lassen. Das bedeutet,dass Ich versuche, mit recht offenen Augen an einen Ort zu kommen und möglichst nach etwas Abstrakten zu suchen, das meinen Bewegungen einen gewissen Raum und Deutungsoffenheit gibt. Der Hochzeitsturm stellte sich als ein spielerischer Ort heraus, insbesondere weil ich an der Fassade entlang laufen konnte. So konnte ich eine unverhoffte Perspektive auf das Gebäude einerseits und meinen Körper andererseits einnehmen. Das zweite zentrale Motiv machte ich in einem Wasserbecken. Hier inspirierte mich insbesondere die wiederkehrende runde Form und wie ich mich als Figur im Zentrum positionieren kann.
 
RAY: In der Ausstellung wird auch eine Projektion gezeigt. Beziehst du das Medium Film schön länger in deine künstlerische Praxis ein?
 
IW: Seit 2010 mache ich immer wieder Videos, welche zum einen meinen Arbeitsprozess reflektieren, aber auch als eigenständiges Werk fungieren.

Isabelle Wenzel, Wuppertal 2, 2015, from the series Field Studies 2014/2015, © Isabelle Wenzel

Isabelle Wenzel, Halde Haniel 15.1. Bottrop, from the series Field Studies 2014/2015, 2015, © Isabelle Wenzel

RAY: Deine Aufnahmen erinnern an die surrealen und ironischen Arbeiten von Anna und Bernhard Blume. Gibt es noch andere Bezüge, die für Deine Arbeit wichtig sind?
 
IW: Die Blumes sind sicher ein guter Bezug, da eine gewisse Form von Slapstick elementar für meine Arbeit ist. Meine Bewegungen sind nicht immer geschmeidig, sondern oft unhandlich, verrenkt oder auf der Kippe. Es geht mir viel ums Scheitern.
 
RAY: Deine Inszenierungen erscheinen wie amateurhafte Versuche, eine perfekte Körperhaltung einzunehmen. Wie wichtig ist das improvisierte, unperfekte Element?

IW: Das ist absolut elementar und Basis meiner Arbeit. Es geht auch darum, auf die Fresse zu fallen und wieder aufzustehen.

RAY: Du versuchst in deinen Bildern die Gravitation zu überwinden oder du lässt dich fallen, als ob du magisch von der Erde angezogen wirst. Sie stehen zwischen Erfolg und Scheitern und dem ewigen Ringen, um aufrecht zu bleiben oder eine gute Haltung zu haben. Sind Deine Bewegungen auch Ausdruck deiner Arbeit als Künstlerin? Ist dies das SELF-Element in Deinen Bildern?
 
IW: Ja, dies ist auch meine Haltung zum Leben - mit dem Scheitern und Unvermögen umgehen, weiterkommen, fallen, aufstehen, laufen, stolpern, nichts können, nichts wissen.
 
RAY: RAY 2018 steht unter dem Thema EXTREME. Wo siehst Du Du das Extreme in Deiner Arbeit?

IW: Vielleicht ist das Extreme an meiner Arbeit, dass ich eigentlich nicht in der Lage bin, etwas anderes zu tun und somit in gewissen Maße auf der Stelle trete. Aber durch diese Stagnation vertrete ich auch mit einer bestimmten Hartnäckigkeit einen Standpunkt.