EXTREME. ENVIRONMENTS, Fotografie Forum Frankfurt, 24.05.-09.09.2018
Interview mit Gideon Mendel
RAY/Eike Walkenhorst: Wie beziehst du dich auf den Begriff EXTREME?
Gideon Mendel: Die naheliegendste Verbindung zu EXTREME ist aus meiner Sicht der Klimawandel. Niemand weiß, wie sich das globale Klima in Zukunft ändert. Aber eins ist sicher: es wird immer mehr extreme Wetterereignisse geben.
Das Projekt Drowning World habe ich in einer Lebensphase begonnen, als ich gerade Vater geworden war. Ich habe mir eine Welt ausgemalt, in der meine Kinder leben würden, wenn sie in mein Alter kämen. Auf lange Sicht wird deutlich, dass das Wetter immer mehr extremer wird und damit unterschiedlichste Auswirkungen, wie beispielsweise Überschwemmungen, verbunden sind.
RAY/EW: Siehst du deine langjährige Praxis für Drowning World als Gegenentwurf zu einem fotojournalistischen Ansatz?
GM: Es ist eine pragmatische Lösung, da ich nicht schnell genug bin, um bei einem Notfall vor Ort zu sein. In vielen Situationen steht das Hochwasser tage-, manchmal sogar wochenlang. Ich komme dann zu einem späteren und ruhigeren Zeitpunkt. Ich denke, es ist eine langsamere und nachdenklichere Art zu reagieren, denn es geht mir vor allem darum, Zeit mit den Menschen vor Ort zu verbringen. Überschwemmungen werden dann erfahrbar, wenn an einem Ort das Wasser steht und Wohnungen und Häuser dadurch besetzt werden.
Als Fotograf und Künstler sehe ich es als meine Pflicht, diese Zustände festzuhalten. Es ist das Licht, es sind die Reflexionen und die Farbe, die diesen dystopische Zustand an einem Ort hervorrufen, an dem normalerweise Autos, Verkehr und Menschen erwartet werden. Es ist still und ruhig. Ein wichtiges Element des Projekts ist auch die Videokomponente. Der Sound und die Atmosphäre sind für mich ebenfalls wichtige Aspekte.
RAY/EW: Betrachtest du die Ästhetisierung einer menschlichen Krise kritisch?
GM: Den Kern des Projekts Drowning World bildet die Serie Submerged Portraits – Porträts von Menschen. Ich denke, ihr Blick in die Kamera ist das Herzstück des Projekts. Oft vermittelt dieser Blick verschiedene Dinge. Was ich anbiete, ist ein Zeugnis dessen, was passiert. Ich schätze, es gibt verschiedene Arten der Reaktionen auf diese Herangehensweise. Die andere Serie, die ich Flood Lines nenne – eine Untersuchung der Hochwasserlinie, die sich durch öffentliche und persönliche Räume bewegt – ist sehr präzise und ästhetisch. Es ist fast eine Art perverser Instinkt, sich in diese super chaotischen Situationen zu begeben und dann formal präzise Bilder zu machen. Es ist gewissermaßen der Versuch, Ordnung in das Chaos zu bringen.
RAY/EW: Wie näherst du dich den Krisenorten und den Menschen an?
GM: Ich verbringe viel Zeit in den betroffenen Gemeinden. In Texas hielt ich mich beispielweise nur in einer Straße auf. Ich konzentriere mich oft auf einen Raum. Die Menschen, die ich fotografiere und porträtiere, stimmen dem Projekt zu und ich denke, was ich mitbringe oder anbiete, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Zeugnis. Es ist gut, wenn ich eine Situation ohne viel Presse erwische, weil ich sonst als Teil dieses allgemeinen Durcheinanders wahrgenommen werde. Für mich ist es immer besonders wichtig, einen engen Kontakt zu den Menschen vor Ort aufzubauen. Aus fotografischer Sicht problematisch wird es allerdings dann, wenn mich die Menschen googeln bevor sie fotografiert werden, wie zuletzt in Frankreich und Texas geschehen. Ich habe versucht herauszufinden, warum diese Porträts nicht so stark waren wie die vorherigen. Die Leute versuchten zu sehr vor der Kamera zu posieren. Das lag natürlich auch daran, dass ich auf meinen letzten Reisen in Ländern war, in denen nahezu jeder ein Smartphone besitzt. Ich werde wahrscheinlich noch ein oder zwei weitere Reisen unternehmen bevor ich Drowning World abschließe. Mir ist es besonders wichtig, keine konventionelle Darstellung der Katastrophe zu schaffen. Der Begriff der Katastrophe wird durch seine mediale Besetzung vor allem mit afrikanischen Ländern verbunden. Der Klimawandel ist jedoch ein globales Problem, das sowohl in den reichsten als auch in den ärmsten Teilen der Welt Krisensituationen auslöst.
RAY/EW: Sind dir bei diesem Projekt (politisch, ästhetisch, moralisch) Grenzen gesetzt?
GM: Ich höre häufig, dass meine Arbeit dokumentarisch sei, dass sie eher in die Bereich des Journalismus oder des Aktivismus hineinreicht. Wenn man sich ein Dreieck vorstellt, ist die eine Ecke die dokumentarische Fotografie, die andere Ecke die Kunstfotografie und die obere ist der Aktivismus. Für mich liegt meine fotografische Arbeit im Grenzbereich zwischen diesen drei Feldern. Der Aktivismus ist jedoch ein besonders wichtiger Teil von ihr: Mit meinen Fotografien versuche ich, ein wichtiges Thema in der Welt anzusprechen und es in unterschiedlichen Kontexten zu verbreiten. Tatsächlich wurden sie immer wieder für aktivistische Zwecke verwendet oder durch die Medien aufgegriffen, wie etwa kürzlich von National Geographic oder dem Guardian. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich meine Arbeiten in einem bestimmten Bereich unterbringen muss.
RAY/EW: Betrachtest du deine Fotografie im Allgemeinen als politisches Mittel?
Ich denke, dass die Fotografie einen Einfluss auf die Welt haben kann. Ich sehe es als Werkzeug für visuellen Aktivismus. Als Fotograf bin ich in einer Zeit des Kampfes gegen die Apartheid in Südafrika aufgewachsen. Meine Arbeit basiert auf einem dokumentarischen Denkansatz der Fotografie, der eine Antwort auf Grausamkeit ist. Ich glaube, ich habe mich in sozialen Fragen immer zum Fotografieren gedrängt gefühlt.