Jamie Brunskill, Body Test 01 + 02, Filmstill, 2015, © Jamie Brunskill

EXTREME. BODIES, Museum Angewandte Kunst, 24. Mai bis 9. September 2018 

Interview mit Jamie Brunskill

RAY: Du bist der Leiter von Nike Londons Creative Lab und warst verantwortlich für erfolgreiche visuelle Kampagnen wie NIKE LONDONER 2018. Unterscheidest du zwischen Kunstwerken und Designs für Kunden?

Jamie Brunskill: Ich versuche es, wenn möglich, nicht zu trennen. Ich finde, dass die kommerzielle Seite des Designens dazu führt, dass die endgültige Idee manchmal etwas lahmer ist, als wenn man sich diese in einem Kunstwerk vorstellt. Aber ich denke auch immer, dass die Entwicklung meiner künstlerischen Arbeiten dazu beiträgt, tiefer und kreativer zu denken, was mir wiederum dabei hilft, mit den Designs, die ich für meine Kunden mache, an einen spannenden Punkt zu gelangen. Es wäre toll, nicht zwischen beiden zu unterscheiden, jedoch ist es so, dass die Extreme meiner Kunstwerke kommerziell schwer zu verdauen sind. 

RAY: In deinen Videoarbeiten Body Test 1 + 2 scheinen die Körper von ihren Persönlichkeiten entfremdet. Sie sind verzerrt und wirken wie lebende Skulpturen oder wie ein fleischliches Substrat von nicht wiedererkennbaren Individuen. Wie fügt sich diese Arbeit in deine künstlerische Entwicklung ein?

JB: Mein Start als männliches Model in meinen späten Teenager-Jahren und die Arbeit als Kreativer in der Modebranche in den letzten 15 Jahren, waren unterbewusst der Grund für die Entstehung meiner Kunst. Ich bin und war immer mit dem Aussehen, der Körperform und den Persönlichkeiten der Menschen beschäftigt. Ich denke, dass diese Arbeit genauso viel Persönlichkeit beinhaltet wie meine anderen Arbeiten auch, aber in einer extremeren und abstrakteren, die schwer verdaulich ist. Es ist eine andere Art Schönheit zu betrachten und diese möchte ich den Menschen bewusst machen.

Jamie Brunskill, Body Test 01 + 02, Filmstill, 2015, © Jamie Brunskill

RAY: Inwieweit verflechtest du deine kommerzielle und künstlerische Praxis miteinander? Beeinflussen sie sich gegenseitig?

JB: Die Bereiche in denen ich mich als Künstler bewege, sind ein Türöffner für meine eher kommerzielle Designarbeit. Mit einer Ausnahme, war es immer schwierig, einen Kunden zu finden, der die Extreme meiner künstlerischen Arbeit akzeptiert: Alexander McQueen, der meine vorherige Serie von Body-Morph-Kunstwerken aufgriff und sie als Teil seiner Kampagne und für In-Store-Visualisierungen im Jahr 2013 verwendete, zusammen mit Skulpturen von Sarah Lucas.

RAY: Inwiefern hat die Arbeit in der Mode deinen Blick auf (menschliche) Körper geprägt?

JB: In der Modebranche zu arbeiten und dabei in einer Metropole wie London aufzuwachsen, öffnet die Augen für die Welt und alle, die darin leben. Die exklusive Welt der Mode, die die Menschen begeistert, ist für mich keine gute Darstellung des Lebens. Man kann die schönsten Gesichter sehen und treffen, aber die Modenorm der Größe 0 ist, so empfinde ich, ein Extrem an sich, das in der gleichen extremen Welt sitzt wie meine "Body Test"-Arbeit. Es ist ein Extrem, es ist nicht die Norm, und das ist der Grund, warum die Menschen davon angezogen und begeistert sind. Genauso wie die Mode den Menschen anspricht, erregt sie, sie ist extrem und auch ziemlich unantastbar.

RAY: Inwiefern hat ein starker Diskurs über Geschlechtermodelle und Körperbilder in den letzten Jahren deine künstlerische Praxis und deine Position als Creative Director beeinflusst?

JB: Die Industrie kann sehr engstirnig in Bezug auf das Körperbild sein. Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich das Gefühl, dass die Kunden beginnen, Veränderungen zu akzeptieren. Ein großartiges Beispiel war kürzlich ein Auftrag des britischen Einzelhändlers River Island, dieses Problem innerhalb der Branche anzugehen. Das Ergebnis war eine multikulturelle Kampagne, die für die Sommerkollektion 2018 unter dem Namen ' LABELS ARE FOR CLOTHES' gestartet wurde. Ich wollte die Menschen dazu inspirieren, ihre Identität auszudrücken und die Marke ermutigen, diesem heiklen kulturellen Thema ihre Stimme zu verleihen. Wir haben eine Vielzahl von Models gecastet, von plus-sized, gay bis trans. Wir haben die grafische Sprache von Bekleidungslabels übernommen und unseren Charakteren diese Identität verliehen. Etiketten sind für Kleidung, nicht für Menschen. Dieses Thema wird im Moment viel besprochen. Ich hoffe nur, dass eine solche Form der Werbung weiter wächst. Eine solche Kampagne sollte als Norm betrachtet werden.

Was bedeutet Extreme für dich? Wie beziehst du dich auf das Thema EXTREME in deiner eigenen künstlerischen Praxis?

JB: Ich liebe das Wort extrem. Nie etwas Halbherziges zu tun, eine Störung zu verursachen, die Leute dazu zu bringen sich nach etwas umzudrehen. Es ist dieser Genuss im Leben von dem wir alle ein Stück wollen. Aber wenn man diesen jeden Tag erleben würde, wäre dieser nicht mehr extrem, sondern normal. In Bezug auf diese und meine künstlerische Praxis denke ich, dass das Wort extrem mich in meinem täglichen Arbeitsalltag antreibt. Ich möchte Aspekte finden, die stören und zum Nachdenken anregen. Man braucht Extreme, um im Leben und in der Arbeit voranzukommen. Ohne die Extreme erleben wir jeden Tag den gleichen Mist, an den wir alle gewöhnt sind und mit dem wir uns sicher fühlen. Extrem ist, was Kreativität erweckt, wenn ich nach einem Tag voller Kreativität nach Hause gehen und mich in Ruhe entspannen kann. 

RAY: Das kuratorische Team von RAY 2018 stellt fest, dass "das Extrem untrennbar mit der Fotografie verbunden ist". Stimmst du dem zu?

JB: Ich stimme zu, dass die Fotografie wahrscheinlich der beste Weg ist, um zu zeigen, was extrem ist. Aber wie gesagt, denke ich nicht, dass ein Bild wörtlich genommen werden muss und nur als eine Art des kreativen Denkens gesehen werden kann. Sie kann Grenzen in uns selbst verschieben, Menschen zum Nachdenken bringen und zu neue Ideen anspornen.

RAY: Siehst du Grenzen (politisch, ästhetisch, moralisch, ethisch etc.) in der Darstellung des "Extremen" in deiner eigenen Praxis?

JB: Ich sehe Grenzen, aber nur im Hinblick darauf, Menschen nicht verletzen oder verärgern zu wollen.